Tag gegen Hexenwahn: Verfolgungen früher und heute (2024)

2020 hat das katholische Hilfswerk missio Aachen für den 10. August den Internationalen Tag gegen Hexenwahn ausgerufen. In über 40 Ländern werden noch heute Männer, Frauen und Kinder der Hexerei bezichtigt, angeklagt und umgebracht. Die Gründe dafür sind ähnlich wie die, aus denen in der frühen Neuzeit in vielen Ländern Europas Hexenprozesse stattfanden.

  • Zum Artikel: Grausame Vergangenheit - Hexenverfolgung in Deutschland

Die treibende Kraft hinter den Prozessen: Nicht die Kirche

Ein Blick in die Geschichte: Auf dem Gebiet des heutigen Bayern war insbesondere Franken von den Hexenverfolgungen der frühen Neuzeit betroffen. Professor Günter Dippold, Historiker an der Universität Bamberg, Bezirksheimatpfleger und Kulturreferent des Bezirks Oberfranken, schätzt, dass etwa 2.000 bis 3.000 Menschen umgebracht wurden. Den Höhepunkt der Verfolgungen datiert er auf den Zeitraum zwischen 1615 und 1630. Besonders hoch waren die Zahlen in geistlichen Fürstentümern, also den Gebieten, in denen der Fürst zugleich auch Bischof war.

Ist das nicht ein Beweis dafür, dass die katholische Kirche hinter den Verfolgungen stand? Gegen dieses weit verbreitete Vorurteil wehrt sich der Historiker Professor Johannes Dillinger von der Universität Oxford vehement. Er meint: "Die ganz große Mehrzahl aller Hexenprozesse - etwa 90 Prozent - fand vor weltlichen Gerichten statt. Angewandt wurde das weltliche Recht und die Richter waren weltliche Würdenträger, also Amtsträger des Adels oder der Städte."

Auch in geistlichen Fürstentümern sei das natürlich so gewesen: "Der Fürstbischof als Fürst wendet weltliches Recht an. Der führt seinen Staat nicht mithilfe von Priestern oder Mönchen, der führt seinen Staat mithilfe von Juristen. Diese Fachleute sind dann auch verantwortlich für die Hexenverfolgung."

Theologen stellen sich Verfolgung entgegen

Warum betrachten trotzdem viele Menschen die katholische Kirche als Hauptschuldige? Dafür hat Professor Dillinger eine Erklärung: "Viele Menschen haben scheinbar Angst davor, zu akzeptieren, dass unsere modernen Staaten in ihrer frühen Zeit diese Hexenverfolgungen begonnen haben und geleitet haben. Bevor man das akzeptiert, ist es offenbar bequemer, es einer anonymen Kirche in die Schuhe zu schieben, dass hier schweres Unrecht sich ereignet hat."

Unumstritten war die Hexenverfolgung nie. Unter anderem von Theologen wurde sie immer wieder zurückgewiesen, erklärt Professor Dillinger: "Es gab das Argument, und das war sehr prominent: Wenn es Hexen gibt, und die Hexen uns schädigen, dann machen die Hexen das, weil wir arme Sünder sind. Gott bestraft uns mit Hexen. Was ist die Konsequenz, die wir dann daraus ziehen müssten? Dass wir aufhören müssen, zu sündigen - nicht, die Hexen zu verbrennen."

Woher kommt der Hexenglaube?

Aber wie kamen Menschen überhaupt darauf, dass es Hexen und Hexer gibt, die Schadenszauber ausführen, nachts umherfliegen oder das Wetter beeinflussen können? Denn noch im Mittelalter hatte der Glaube daran als Aberglaube gegolten, als Überrest aus heidnischen Zeiten.

Dillinger sieht den Hexenglauben als eine Art Verschwörungstheorie an: "Die Hexenverfolgung beginnt mit einer Verschwörungstheorie und bleibt immer bis zu einem gewissen Grad eine Verschwörungstheorie. Und mit dieser Sensationsmeldung - es gibt eine Verschwörung von bösen Magiern, die mit dem Teufel im Bunde stehen - brechen die alten Lehrmeinungen weitgehend zusammen", erklärt er. "Die Verschwörungstheorie hat immer diesen Zug zur Dringlichkeit: Es muss jetzt etwas geschehen, sonst ist es zu spät."

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Klimatische und gesellschaftliche Gründe

Mit verantwortlich für die Hexenprozesse sind außerdem die gesellschaftlichen und klimatischen Bedingungen der frühen Neuzeit. "Die Vormoderne ist eine Agrargesellschaft. Die hängt ab vom Erfolg der Ernten", so Professor Dillinger. "Wenn der Ernteerfolg mehr als zwei Jahre ausbleibt, ist die Gesellschaft in einer tiefen Krise. Es droht der Hungertod." Hinzu kamen Kriege und Arbeitslosigkeit. Der Ruf danach, die Schuldigen zu finden und auszumerzen, werde dann schnell laut. Und die Bevölkerung sei es schließlich gewesen, die laut nach Hexenprozessen verlangt habe.

Theologische Gründe für die Hexenjagd sieht Dillinger nicht. Zwar wurde der Hexenhammer - ein Werk, in dem die Hexenjagd systematisch gerechtfertigt wurde - vom Dominikanermönch Heinrich Kramer verfasst. Ihm vorangestellt war zur Legitimation ein päpstliches Schreiben. Das hat der Papst allerdings wahrscheinlich nie zu Gesicht bekommen, vielmehr hatte Kramer es im Vatikan gekauft und außerdem noch ein Gutachten der Universität zu Köln gefälscht, mit dem er noch mehr Werbung für sein Werk machen wollte. Der Hexenhammer wurde von kirchlicher Seite nie anerkannt – die Ideen trafen aber den Nerv der Zeit.

Innensicht aus einem Hexengefängnis

Wie es Angeklagten erging, zeigt ein gut erhaltenes Schreiben aus Bamberg. Der damalige Bürgermeister Johannes Junius wurde am 6. August 1628 in Bamberg auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Einige Tage zuvor schrieb er noch einen flehentlichen Brief an seine Tochter Veronika, den sie aber wahrscheinlich nie erhalten hat. "Unschuldig bin ich in das Gefängnis gekommen, unschuldig bin ich gemartert worden, unschuldig muss ich sterben. Denn wer in das Haus kommt, der muss ein Trugner (Hexer) werden, oder er wird so lang gemartert, bis er etwas aus seinem Kopf Erdachtes weiß, oder sich auf etwas besinne."

Für Professor Dippold aus Bamberg ist dieser Brief ein ganz besonderes historisches Zeugnis, "weil wir hier mal nicht die Perspektive der Verwaltung, der Justiz haben, sondern die Perspektive des Opfers. Und zwar ganz unmittelbar. Einer, der wirklich im Gefängnis sitzt, noch in unmittelbarer Lebensgefahr ist und sein Leben tatsächlich kurz darauf gelassen hat."

Hexenjagd gibt es heute noch

Auch heute noch sind Menschen wegen des Vorwurfs der Hexerei in Lebensgefahr – und zwar in über 40 Ländern: in Teilen Afrikas, Südamerikas oder Asiens etwa.

Die Gründe für die Verfolgungen sind sehr ähnlich zu denen in Europa in der frühen Neuzeit, erklärt Jörg Nowak von missio Aachen. "Es sind meistens Situationen von Krieg, Katastrophen und Krankheiten, wo die Menschen einen Sündenbock suchen. Aber es sind auch Situationen von Neid, von Habgier, weil man sich von dieser Beschuldigung dann einen wirtschaftlichen Vorteil erhofft." Die Hexenjagd sei zwar nicht so bürokratisch organisiert wie die in früheren Jahrhunderten. "Aber es ist auch keine Form von nur einem brutalen Mob, der sich auf jemanden stürzt. Sondern da gibt es schon gewisse Rituale und Vorgehensweisen."

Tag gegen Hexenwahn am 10. August

Um die Betroffenen, die meist Frauen sind, aber auch Männer und Kinder, zu unterstützen, hat missio 2020 den 10. August zum "Internationalen Tag gegen Hexenwahn" erklärt. Die Wahl des Datums erklärt sich mit dem Schicksal einer jungen Frau, die am 10. August 2012 ihren Folterern, die sie für eine Hexe hielten, durch einen Trick entkommen konnte.

Missio Aachen und missio München setzen sich deswegen weltweit mit Hilfsprojekten gegen den Hexenwahn ein, erklärt Nowak: "Einerseits ist es die Akuthilfe, wenn Frauen in Gefahr sind, die aus dieser Notsituation zu holen. Und was langfristig natürlich wichtig ist, dass die Projektpartner von missio in die Dörfer gehen und auch ganz besonders in die Schulen und dort Aufklärungsarbeit leisten."

Er setzt seine Hoffnungen insbesondere in diejenigen, die gerade acht oder neun Jahre alt sind und damit in etwa zehn Jahren volljährig werden und zeigt sich optimistisch: "Wenn diese Generation dann geprägt ist von einem Denken, das frei ist vom Hexenwahn, dann hoffe ich, dass die ersten Länder davon befreit sind und ich glaube, dass das auch möglich ist."

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